Lieber Rolf Müller!

24 Feb

HQ – High Quality, Heft Nr.1
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Als ich ganz zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn nicht ganz grundlos ehrfürchtig in der ersten Ausgabe «HQ – High Quality», mit der meine Eltern für ihre Zeitschrift «Magazin KUNST» zu Besprechungszwecken bemustert wurden, blätterte, und mich fragte, ob es für mich bei dieser hohen Qualität überhaut Sinn hätte, Ihnen eine Auswahl meiner fotografischen Erzeugnisse zu übersenden, da war ich einige Monate später umso überraschter, daß ich tatsächlich einen Anruf von Ihnen erhielt und Sie mich zu einem Gespräch nach München in Ihr damals schon als legendär zu bezeichnende «Büro Rolf Müller» in der Maximilianstrasse einluden. Außerdem sagten Sie mir, daß Sie möglicherweise meinen Vater kennen würden: «Ich habe von ihm kürzlich zwei Aquarelle des Künstlers Antonio Calderara gekauft. Kann das sein?» Ja, jene beiden Aquarelle, von denen ich hoffte, meinen Vater davon überzeugen zu können, sie uneingennützig mir zu überlassen, gehörten nun Ihnen. Sie hatten die eindeutig besseren Argumente.

HQ – High Quality, Heft Nr.13

Während unseres Gespräches entschieden Sie sich, einige Bilder aus meiner Serie «25-jähriges Bestehen der HBK Braunschweig im Kunstverein Hannover» in «HQ – High Quality», Heft Nr. 13, zum Thema «Kontraste» zu veröffentlichen und zum anderen, mich mit einem größeren Auftrag für das Technologiemagazin «new-tech news» der Deutschen Aerospace zur Luft- und Raumfahrtmesse nach Paris zu schicken. So entspannt muß man erstmal sein, denn zu diesem Zeitpunkt war mein Milchgesicht gerade erst 25 Jahre alt.

Tableaux I – «new-tech news»

Tableaux II – «new-tech news»

Und so wurde es noch eine Bildstrecke in der «new-tech news» und noch eine und noch eine Veröffentlichung in «HQ – High Quality», Heft Nr. 25, zum Thema «Paare»; und so habe ich zudem von Ihnen sehr viel gelernt: Als Sie beispielsweise aus der Menge von 120 Vergrößerungen exakt 18 Aufnahmen für die Bildstrecke auswählten – und auf diese Weise sehr viel gute Bilder ungenutzt blieben – bemerkten Sie meinen leicht entsetzt wirkenden Gesichtsausdruck und erklärten: «Nur wenn man viele gute Aufnahmen weglassen muß, dann weiß man, daß man als Fotograf gut gearbeitet hat».

HQ – High Quality, Heft Nr.25

Das von Ihnen geschaffene Magazin «HQ – High Quality – Zeitschrift über das Gestalten, das Drucken und das Gedruckte. Drei internationale Gestalter werden vorgestellt. Sechs Originalbeiträge zu einem denkwürdigen Thema.» setzte nicht nur Maßstäbe in Punkto Druckqualität, Gestaltung und Veredelung, sondern es war ebenso ein Literaturmagazin. Die Gestalterin Sabina Sieghart schreibt auf Ihrer Website: «‹High Quality› war das Magazin der Heidelberger Druckmaschinen. Für uns das ‹Zuckerl› bei Rolf Müller, denn wir durften mit tollen Fotografen und Textern arbeiten und zudem jedes mal eine neue Drucktechnik ausprobieren.»

HQ – High Quality – Paare – Spreadsheet 1

Einige der Themen waren: «Die immerwährende Sehnsucht des Menschen nach überall hin», «Der rechte Winkel», «Blüten», «Randerscheinungen» oder «Störungen», ein Heft, in dem Sie zum Beispiel den Falz der Seiten 45 und 46 tiefer ins Heftinnere legten, sodaß sie sich durch den Randbeschritt nicht hatten öffnen können. Mit dem Elan der Jugendlichkeit brachte ich damals den notwendigen Ehrgeiz auf, die in diesem «verschlossenen Teil» abgedruckte Korrespondenz zwischen Ihnen und jenem Fotografen, der auf seinem Fachkamera-Großbilddiapositiv nicht nur das Dach des Münchner Olympiastadions in einer sehr schönen Lichtstimmung fotografiert hatte, sondern Ihnen das kleine kreisrunde Wölkchen, das sich hinreichend zart im ansonsten glasklaren Abendhimmel ebenfalls auf besagter Aufnahme zeigte, als waschechtes UFO verkaufen zu wollen, so zu lesen, daß ich dabei die beiden Seiten nicht mit einem Messer hatte trennen müssen. Was tut man nicht alles zum Erhalt der Kunst? Und so ist es auch kein Zufall, daß in derselben Ausgabe ebenfalls die zerschnittenen Häuser des Künstler Gordon Matta-Clark «gefeatured» wurden. Und: Was passiert eigentlich mit einer Störung, die man durch einen Schnitt quasi «entstört»? Fühlt sich die Störung möglicherweise durch einen solchen Eingriff selbst gestört? Kann sie dann nicht mehr schlafen? Plündert sie als Konsequenz nachts die Auslagen eines WMF-Fachgeschäfts?

HQ – High Quality – Paare – Spreadsheet 2

Was Sie, lieber Rolf Müller, neben Ihrer gnadenlosen Qualitätsvernarrtheit auch auszeichnete, ist, daß man mit Ihnen eben auch jeder Zeit solche Gespräche – wie vorstehend kurz skizziert – führen konnte, ohne daß es einem dabei hätte langweilig werden können. Und jetzt? Jetzt haben Sie sich vor ein paar Tagen überraschend als Erdenbürger endgültig zur Ruhe gesetzt. Eigentlich wollte ich Sie noch für mein Portraitprojekt fotografieren. Well, sir, just to be perfectly honest with you: I am facing serious problems to cope with it. Das darf doch wohl alles nicht wahr sein. Ich hatte mich extra für Sie in die Yussuf-Karsh-Optik eingearbeitet. Es sollte eine Überraschung werden. Vor ein paar Tagen noch waren Sie als Referent auf der Website der QVED 2015 abgebildet und heute finde ich bei den Damen und Herren von der Designalliance die Nachricht, daß Sie jetzt für’s erste Feierabend machen.

Darf ich Ihnen zur seelischen Zerstreuung an dieser Stelle den ultimativen Kommunikationslösungsweg eines Malcolm McLarens vorstellen, der sich zum Zeitpunkt des Besuchs seiner Website bereits seit mehreren Monaten im permanenten Ruhestand befand?

Screenshot Website Malcolm McLaren

Meine Mail an ihn blieb bisher leider unbeantwortet. Aber vielleicht reagiert er ja auf Ihre. Restlos ausschließen ist das nicht.

Lieber Rolf Müller, alles Gute.
Ihr Andreas Baier

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Zusatzlinks:
Monographie über Rolf Müller
Interview mit Rolf Müller in «Design Culture»
Rolf Müller, der Geschichtenerzähler, der Zeichensetzer, der Systemgestalter

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