Archive | August, 2016

Olympiade 2016 in Brasilien: «Bertolt Brecht über Sport»

20 Aug

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«Ich muß zugeben, daß ich die These, Körperkultur sei die Voraussetzung geistigen Schaffens, nicht für sehr glücklich halte. Es gibt wirklich, allen Turnlehrern zum Trotz, eine beachtliche Anzahl von Geistesprodukten, die von kränklichen oder zumindest körperlich stark verwahrlosten Leuten hervorgebracht wurden, von betrüblich anzusehenden menschlichen Wracks, die gerade aus dem Kampf mit einem widerstrebenden Körper einen ganzen Haufen Gesundheit in Form von Musik, Philosophie oder Literatur gewonnen haben. Freilich wäre der größte Teil der kulturellen Produktion der letzten Jahrzehnte durch einfaches Turnen und zweckmäßige Bewegung im Freien mit großer Leichtigkeit zu verhindern gewesen, zugegeben. Ich halte sehr viel von Sport, aber wenn ein Mann, lediglich um seiner zumeist durch geistige Faulheit untergrabenen Gesundheit auf die Beine zu helfen, Sport treibt, so hat dies ebensowenig mit eigentlichem Sport zu tun, als es mit Kunst zu tun hat, wenn ein junger Mensch, um mit einem Privatschmerz fertig zu werden, ein Gedicht über treulose Mädchen verfaßt. … Sport aus Hygiene ist etwas Abscheuliches.»

via: Bertolt Brecht

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Mario Reis in der Mainzer «CADORO»

13 Aug

Alle Fotos von Andreas Baier
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Eigentlich war uns der Künstler Mario Reis bisher vornehmlich durch seine Natur- und Knallfroschaquarelle ein Begriff; nicht jedoch die Ergebnisse seiner konkreten Phase. In der Mainzer CADORO, Zentrum für Kunst und Wissenschaft, stellte er sie im März diesen Jahres aus. Hier ein paar Bilder von der Vernissage.

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Kunstszene: «Günter Uecker im Wandel der Zeit»

12 Aug

1986: Günter Uecker in der Galerie Dorothea van der Koelen
Foto von unserem Redaktionsfotografen Andreas Baier
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2016: Günter Uecker auf der Art Basel
Foto von unserem Redaktionsfotografen Andreas Baier
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Telegrammstilesk ließe sich sagen: Lediglich die Rundungen der Schädeldecke Günter Ueckers sind geblieben – alles andere hat sich geändert. Aber ist das der Erkenntnis letzter Stand der Dinge? Und: Ist es nicht eigenartig? Da bringt man nur mal eben so zwei Fotografien in einen thematischen Bezug zueinander – und schon bietet sich einem die Gelegenheit, – im Idealfall – stundenlang über die «Wirklichkeit der Wirklichkeit» zu philosophieren. Und/oder über die «wirkliche Wirklichkeit im absolut Wahrhaftigen». Und/oder über die «wirksame Wirklichkeit im wahrhaftigen ABSOLUT». Und das Ganze abwechselnd in weiß, schwarz, grau und/oder irgendwie auch hinreichend farbig inszenierten Räumen – mal mit und mal ohne die segensreiche Unterstützung eines modernen TV-Geräts. Sie merken, liebe Meerschweinchenreportleserinnen und Meerschweinchenreportleser: Die Rezeption von Kunst ist eine höchst individuelle und gelegentlich auch verzwickte Angelegenheit. Und damit das auch weiterhin so bleibt, findet unser kleiner Besinnungsaufsatz mit nachfolgendem Satzzeichen sein wohlverdientes Ende. Naja, fast:

Magazin KUNST,
Titelbild, 13. Jahrgang, Nr. 52, 4. Quartal 1973, DM 7,50
Thema: Kunst und Fernsehen.
Abbildung: Günter Uecker, Benagelter Fernsehapparat.
Foto: Bernd Jansen.
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Fluxus-Dada-Dokumente unserer Zeit: Letter from «Raoul Hausmann to Wolf Vostell» | und ein Brief von «Wolf Vostell an Hans Alexander Baier» (1967)

11 Aug

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20th February 1967
Raoul Hausmann
6 rue Neuve St.Etienne
87 Limoges | France

Dear Wolf Vostell,
Thank you so much for your kind letter. I am very happy that you are such a clever boy. But you must know; I am not in good terms neither with Hulbeck, nor with Hoech, who have distributed false news about my work and me.

I send you herewith a very bad photograph from two of my posters from the Internationale Dada-Messe, Berlin 1920. They have had 70 x 90 cm and have been partly dé-collages. I send you my article “Synthetisches Cino der Malerei”, which I wrote in April 1918 and that had at first the title “Das neue Material in der Malerei”.

I shall send you texts in some time.

Last week the Hessische Rundfunk turned here with me a documentary about my work and my means concerning Dada.

heartiliest yours
Raoul Hausmann

P.S.:
I invented 1) Fotomontage
2) Decollage (*1)
3) Sound (letter) poem
4) Optophone

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26.2.67

Lieber H. A. B.
(1) Hier noch eine Fotokopie von einem neuen Hausmann Brief. Der Abdruck würde ihn, glaube ich, verärgern; er ist halt alt und senil (*2). Es ist ja auch ein persönlicher Brief, den ich Ihnen aus Vertrauen zeige.

(2) Es erschien ein Desinformationsblatt (*3) für die Presse von Stünke. Rywelski hat es leider verlegt, – er hat sich bemüht bei Stünke, aber es gibt keine Blätter mehr. Es waren aber nur 18 Galerien aufgeführt, die Sie ja aus der Zeit kennen. Im Stadtanzeiger stand jedoch 20. Es sind aber nur 18 bis jetzt. Journalist Rywelski, 5 Köln, Lützowstr. 33 könnte genauer darüber berichten (Termin etc.) oder recherchieren. Die Mühlheimer Stadthalle ist große Klasse für eine Gegenausstellung und wahrscheinlich umsonst, da immer irgendwelche Ausstellungen dort sind.

(3) Anbei eine kleine Partitur, die meinem New Yorker Buch beiliegt.

(4) Künstlerisch würde ich alles für eine Mappe bei Ihnen hergeben – 10 Blätter; das wäre toll. Die Sache muß aber vorfinanziert werden, d.h. Papier, Buchbinderei, Drucker, Arbeitshonorar. (*4)

Ganz herzlich
Ihr Wolf Vostell

P.S.:
Ich mache zur Kunstmesse ein Manifest über die Avantgarde in Köln, die nicht von den Galerien vertreten wurde. Stockhausen etc. (Mary) Bauermeister, (Haro) Lauhus, Vostell, Schmit etc. Dank FLUXUS.

 

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Erläuternde Fußnoten
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(*1) Raoul Hausmann wird von der Kunstgeschichte mit der «Décollage» tatsächlich nur peripher in Verbindung gebracht.

(*2) Raoul Hausmann schrieb den hier gegenständlichen Brief an Wolf Vostell ca. vier Jahre vor seinem Tod. Der österreichisch-deutsche Dadaist war bekannt dafür, die letzten Jahre seines Lebens am Mittagstisch rohe Hühnereier und kleine quadratische Seifenstückchen aus der Rue St. André des Arts mit entsprechend wiederkehrendem Ergebnis abwechselnd zu stapeln. Möglicherweise bezog sich Wolf Vostells Hinweis «alt und senil» auf diesen Umstand.

(*3) Hieraus entwickelte sich eine klar strukturierte Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kölner Galeristen Hein Stünke und dem Mainzer Verleger Hans Alexander Baier. Der Spiegel schrieb: «Dem deutschen Kunsthandel, so fürchtet der Mainzer Verleger und Galerist Hans Alexander Baier, 31, droht die Herrschaft eines Kartells. Ein Richterspruch soll das Unheil abwenden. Beim Verwaltungsgericht Köln beantragte Jurist Baier letzte Woche, den ‹Verein progressiver deutscher Kunsthändler› aus dem Vereinsregister streichen zu lassen. Begründung: Das Ziel des Zusammenschlusses laut Satzung ‹die Förderung des Interesses an zeitgenössischer … Kunst und die Förderung des Handels mit solcher Kunst› – sei nur vorgeschoben, um einen in dieser Rechtsform unzulässigen ‹wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb› zu tarnen. Gesetzwidrige Camouflage traut Baier, der einst in seiner Geburtsstadt Bremen ‹die Sitten ordentlicher Kaufleute kennengelernt› hat, einem Kollegenbund zu; die Mitglieder des beklagten Vereins, der im November letzten Jahres eingetragen wurde, sind 18 mit moderner Kunst handelnde Galeristen aus der Bundesrepublik und West-Berlin. Vorsitzender: der Kölner Hein Stünke, 53 (Galerie ‹Der Spiegel›)». Der komplette SPIEGEL-Bericht.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung protestierten auch Joseph Beuys, Klaus Staeck und Wolf Vostell gegen die Zulassungsbeschränkungen der Kölner Messe für zeitgenössische Kunst. Am Eröffnungstag der Messe klopften sie lautstark gegen die Glastüren der Josef-Haubrich Kunsthalle, die Rudolf Zwirner kurz zuvor mit einem Balken verschlossen hatte, und begehrten Einlass. Die Aktion richtete sich gegen die Exklusivität der Kunstmesse und konnte diese am Ende auch brechen. Der Kölner Kulturdezernent Kurt Hackenberg öffnete selbst die Tür, und Joseph Beuys sagte: «Ein neues Zeitalter hat begonnen.» Die Aktion lautete «Wir betreten den Kunstmarkt».

In letzter Konsequenz war das Kölner Kunstmarktkartell spätestens durch die Art|Basel, die nur wenige Jahre später ihre Pforten öffnete, auf ganzer Linie gebrochen. Der Galerist Max Magenbrodt ließ sich sogar von Beuys eigens einen Sarg an den linken Fußknöchel nageln – was Uecker wiederum sauer aufstieß. Außerdem gelang es dem Kartell nicht, ihren Sammlern vorzuschreiben, in welcher Galerie sie einkaufen sollen – und in welcher nicht. Rubrik: Was Menschen eben so alles anstellen, wenn der Tag lang ist.

(*4) Es wurden dann insgesamt drei Grafikserien je vier verschiedener Blätter. Darunter «Olympia I-IV» und «Vietnam Sinfonie». Meerschweinchenreport berichtete hier.

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