Hamlet Hamster über das englische Königshaus, Lady Diana Spencer, die britische Gesellschaft, Doppelmoral, menschliche Prioritätensetzung, verbrannte Frühstückswürstchen, den Balkan-Krieg, Paparazzi, ihren Stellenwert in den Medien … über überflüssige Trunkenheit am Steuer, eine Kindesmassenmörderin, einen öffentlich noch auszupeitschenden Ausstellungsmacher, verregnete Teddybären – sowie verzweifelte Marketingbemühungen im Dienste und Interesse der Allgemeinheit. Oder: Warum Werbung ein hochgradig seriöses Geschäft ist…
*
Erstpubliziert in PROFIFOTO (Nr.2 März/April ’98)
* * *
Kein Hurrikan, keine Sintflut mit 250.000 Ertrunkenen, nein, nichts von diesen Allerweltsunglückchen, die zu Recht in schnelle Vergessenheit geraten, war geschehen. Nein, nicht von alledem. Es war der Gau! Der gesellschaftliche Urknall! Keinesfalls geräuscharm, dem bedeutungsvollen Anlaß jedoch mit entsprechend britischer Zurückhaltung zelebriert, meldete er sich in einem Pariser Straßentunnel nahe der Seine zu Wort. Mir rasender Geschwindigkeit, gleich einer atomaren Kettenreaktion, löste der Sound, das Klirren des englischen Silberlöffels auf französischem Asphalt, weltweit ein erschütterndes Erdbeben in den Köpfen unserer Planetenbewohner aus. Das Ergebnis: Globale Betroffenheit, mentales Siechtum machte sich breit. Bereits seit Tagen spielten das Herzchen Diana und ihr aktueller Liebhaber mit der Presse Cosmonopoly. Jetzt waren sie auf dem Weg in die Disco, als ihr Fahrer Henry „Savoir vivre“ Paul versuchte, seiner Lebensfreude durch einen expressionistischen Fahrstil etwas mehr Ausdruck zu verleihen. Im Tunnel machte der Wagen einen Schlenker: Dianas Spielfigürchen rutschte auf das Ereignisfeld, die dazugehörige Karte gab dem Spiel die Wende: „Go to heaven. Take the highway! Don’t go to church. Don’t marry Dodi Al-Fayed“.
In der Hitze der Nacht
Bis die Franzosen die Übersetzung hatten, vergingen einige Wochen und so verfolgte man im Nachbarlande Hercule Poirots mit kriminalistischem Hochdruck 007 Fotografen, die da lachten und dachten „Q“ habe sie mit der Lizenz zum Töten ausgestattet. Man fand sie, kochte und lochte sie ein. Denn welches Land, außer der uns wohlbekannten Insel, kann schon von sich behaupten, Sitz eines Revolverblattes zu sein, das so schmierig, so falsch, so ekelhaft, so verlogen und so tödlich ist, wie die „The SUN“ (Well, we do have the BILD-Zeitung, don’t we?). Es schürt das Feuer, erhitzt die Gemüter des gesund empfindenden Volkszorns und sorgt so gleichzeitig für seinen geregelten Stuhlgang. Der gesund empfindende Volkszorn hält sich für rechtschaffen (was immer das sein mag), das Maß aller Dinge, ist grausam, braucht regelmäßig was zu Fressen – und will unterhalten sein. „Panem et circenses“ benötige das Volk, schlußfolgerten bereits die Römer und kreierten zu dessen Ruhigstellung eine unchristliche Mischung aus „Expedition ins Tierreich“ und gezielter Massenvernichtung sogenannter Volksschädlinge. Ihm gönnte man das Vergnügen, Jagdtrieb und Appetit unterernährter Raubtiere aus nächster Nähe studieren zu dürfen. Bei Cäsar und Caligula saßen sie in der ersten Reihe. Welchen Heißhunger ein gesund empfindender Volkszorn auch in späterer Zeit entwickelte und was dieser alles anzurichten im Stande war, wissen wir nur zur Genüge: Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, sechs Millionen ermordete Juden gehen u.a. auf sein Konto.
Heutzutage, im Zeitalter der sich langsam verabschiedenden Demokratie, fällt er mit Hochgenuß per Gerichtsbeschluß Bäume in Nachbars Garten, denn Bäume behindern grundsätzlich die freie Sicht freier Bürger auf das in der Regel den streitgegenständlichen Grundstücken angrenzende Kernkraftwerk. In der Freizeit beballert Mann oder Frau die körpereigene, freizügig gezeigte Wampe bis zum Anschlag mit Bier, produziert zu nächtlicher Zeit merkwürdig hohe Telefonrechnungen. Er hält sich für gebildet, gut informiert und der Elite – was auch immer das sein mag – zugehörig. Er konsumiert die dementsprechende Lektüre. José Ortega y Gasset formulierte bereits 1931 in „Der Aufstand der Massen“: „Das ist es, was ich im Kapitel als Kennzeichen unserer Epoche hinstellte: Nicht, daß der gewöhnliche Mensch glaubt, er sein außergewöhnlich und nicht gewöhnlich, sondern, daß er das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht proklamiert und durchsetzt.“ Auf die Dauer aber schockt den Gewöhnlichen das Gewöhnliche nicht mehr, dann braucht er Action, es dürstet ihn nach Blut. In Deutschland geht man deshalb „Fidschis klatschen“, in anderen Ländern, speziell Großbritannien – ganz nach dem Fuchsjagdprinzip -, versteht man sich auf das „Celebrity-Shooting“, das „Abschießen Prominenter“ in möglichst unvorteilhaften, kompromitierenden Situationen. Tags darauf beginnt die Hetze, werden die so Fotografierten via Presse der wütenden Meute zum Fraß vorgeworfen. Diesem Schicksal wollte Diana zur Abwechslung mal entgehen. So wurde sie unvorhergesehen Opfer der „Méthode allemande“, nicht zuletzt, weil in die sich überschlagenden Ereignisse ein Fahrzeug deutscher Fabrikation verwickelt war.
Vier Linsen für ein Hallelujah
Daniel Angeli
Im Urlaub von versteckter Kamera abgelichtet zu werden, ist wahrlich nicht immer vorteilhaft: Fergie z.B. passierte dies just in dem Moment, als ein ihr eher zufällig beiwohnender texanischer Ölmilliardär Lust verspürte, vor den Augen ihrer Kinder an ihrem großen Zeh zu lutschen. Daniel Angeli kostete diese Szene voll aus und kassierte, Fergie hingegen kam sie teuer zu stehen. Der „goldene Schuß“ soll Angeli mehrere Millionen Francs eingebracht haben, darob schweigt er sich jedoch professionell aus. Ich traf ihn in Gstaad, eine Art St. Moritz, nur mit anderem Namen. Hier haben viele VIPs ihre Häuser, hier fühlen sie sich zu Hause. Sonderlich redselig ist er nicht, nur dass er denn Tip mit Fergie von einem Flughafenangestellten bekam, der sie gesehen hatte, verrät er mir – und ergänzt: „Es ist wichtig, seine Informanten gut zu bezahlen.“ Ansonsten möchte er mich gerne für seine Agentur gewinnen. Das alles geschah anno 1992. Damals war ich im Auftrage des Herrn bzw. Stern unterwegs, mit der Maßgabe Paparazzi ins rechte Licht zu rücken.
Massimo Sestini
Die zweite Station war Florenz, die Stadt Fillipo Bruneleschis, die Stadt Massimo Sestinis. Eng mit der Tradition seiner berühmten Florentiner Handelsvorfahren verbunden, war Sestini der erste, der seine heiße Ware via Bildschirm und Modem exklusiv an die meistbietende Redaktion versteigerte. Eine in der Krawatte eingebaute Minikamera, eine komplette Polizei- und Feuerwehruniform, sechs Leibeigene sowie 15 lichtstarke Teleobjektive helfen ihm dabei. Die drahtige Promenadenmischung aus Rambo und James Bond verlangt von jedem ihrer Mitarbeiter einen erfolgreich absolvierten Schleuder- und Lügendetektortest. Selbstverständlich besitzt jeder von ihnen den Tiefseetaucherschein. Massimo „Waterworld“ Sestini ist den Redaktionen dieser Welt für seine atemberaubend unscharfen Bilder hochseejachtreisender Royals bekannt. Natürlich darf ich zukünftig jederzeit vorbeischauen und meine Filme bei ihm entwickeln lassen.
Jim Bennett
Jim Bennett ist der Philosoph in seiner Kaste. Fast alle seiner Kollegen hat er gelesen: Konfuzius, Lao-tse, Sartre, Kamasutra – um nur einige zu nennen – und so ist es für ein „Kick, größer als ein Orgasmus“, wenn er es mal wieder geschafft hat, einen Menschen zu fotografieren, der nicht fotografiert werden möchte. In gewisser Weise sei dies auch als eine Hommage an Kants kategorischen Imperativ zu verstehen, läßt Bennett mich wissen. Fast drei Wochen lang hauste er unter einem Schloß Balmoral fast nahegelegenen Gebüsch. Endlich: Camilla und Prince Charles treten vor die Tür, genießen gemeinsam die sich schon aus Gründen der Tradition rar machende schottische Sonne … und … Schuß … und … Treffer … und: Versenkt! Schon hat sich der Mann in die Annalen der Paparazzigeschichte eingebracht. Er machte als erster aus dem großen Geheimnis kein großes Geheimnis. Kommentarlos soll hier ein Auszug aus Bennetts Vita stehen: Von 1982 bis 1987 war Jim Bennett „Official Royal Photographer“. Der kleine Zwischenfall, wie vorstehend beschrieben, machte ihn zum „Unofficial“. Daraufhin nahm er sich die Freiheit – denn die Freiheit ist, nach Rosa Luxemburg, immer die Freiheit des anderen – und hörte verbotenerweise königliche Telefongespräche ab. Nun nahm sich der Staat die Freiheit, ihm die Freiheit zu nehmen, und zwar für neun Monate. In dieser Zeit war Bennett so frei, sich ein paar Gedanken zu machen. Sein Ergebnis: „Die Royals sind keine gewöhnlichen Menschen, und deshalb darf man sie auch nicht gewöhnlich behandeln!“
Richard Young
Der vierte, und für mich letzte Kandidat, den ich besuchte, war Richard Young. Er wartet stets brav mit seinem Weitwinkel vor Restaurants und Nachtclubs und bekam in der Vergangenheit für dererlei Frevelei schon manchesmal – frei nach Woody Allen – sein Zahnfleisch kräftig mit dem Wagenheber massiert. Ich kann nicht genau sagen warum, aber von den vieren ist er mir am sympathischsten.
Winston & Bert
So, das sind also einige Vertreter jener Zunft, deren Bilder sich inhaltlich und formal auf dem Niveau von Kinderpornographie bewegen und die damit ganz anständig Kasse machen. Kinderpornos werden von Kinderschändern für Kinderschänder hergestellt. Paparazzifotos werden von Gestalten äußerst zweifelhaften Charakters für die Masse der Gewöhnlichen produziert. That’s the business! Die Auflage solcher Blätter, in UK „Tabloids“ genannt, wird – wie wir alle wissen -, ausnahmslos von Lesern bestimmt, die angeblich nur der Sportteil interessiert – und sonst nichts. Es scheint, in der von Winston Churchill gelebten Lebensphilosophie „no sports“ zeigt sich der Geist des wahren Gentlemen. Was ist dran, an diesen grobkörnigen, unscharfen Aufnahmen? Dodi sieht auf vielen Bildern aus wie mein Zahnarzt, zumindest könnte er es sein. Wo sind die vollkommen unscharfen Paparazzifotos als Kunsttapete mit Motiven aus der Essener Fußgängerzone, versehen mit Bildtiteln wie diesen: „Nach Ladenschluß putzt Diana die Schaufenster bei Hertie“? Solche Arbeiten hätten wenigstens Nachrichten- und Unterhaltungswert. „If you don’t like it, don’t buy the paper!“ bemerkt Jim Benett und legt damit nicht ganz unbegründet seinen Finger in die Wunde, denn Fakt ist, daß auch die Leser der Boulevardpresse ihren Beitrag zu Dianas Tod geleistet haben.
Um von sich abzulenken, ist deshalb „Mörder! Alle Fotografen sind Mörder!“ Volksmeinung. Doch bei Licht betrachtet sind Paparazzi mitnichten Fotografen, nur weil sie ihren Job mit Kameras verrichten. Politessen sind schließlich auch keine Schriftsteller, nur weil sie ihren Job mit Block und Bleistift an der Bordsteinkante ausüben. Viel richtiger hieße es: „Paparazzi! Alle Paparazzi sind Mörder!“ Nun aber mal ehrlich: Ist das unter sprachlichen Gesichtspunkten nicht zu platt, viel zu primitiv? Wo bleibt die Sprache als Kunstform? Wie wäre es hiermit:
Bereits gen Mittag
baumelten an ihren Eiern
aufgehängt, Paparazzi,
sämtliche. Die Ratten
wurden feist
an jenen Tagen,
aber nicht gegessen.
Zwar ist das inhaltlich genauso bescheuert, macht die Sache aber – weil fast genau nach Bertolt Brecht: „Leben Eduard des Zweiten von England“ – formal um einiges erträglicher. Finde ich jedenfalls. Denn natürlich wissen wir – wie in Paris geschehen -, daß Paparazzi die reinsten Wohltäter, Samariter sind, ohne deren selbstlosen Einsatz an Unglücksstellen, die letzten Minuten im Leben eines Opfers wesentlich einsamer, trostloser wären. Man bedenke doch bitte: Der Paparazzo kam, sah und fühlte zuerst den Puls der schönen, vor Gram gebeugten Prinzessin. Erst dann fotografierte er sie. Handelt so ein böser Mensch? Nein. Das war einfühlsame Sterbehilfe – frei nach Elisabeth Kübler-Ross. Alles hätte soo schön im Lichte der Öffentlichkeit stehen können, mit Orden und so, wäre da nicht ein Kollege gewesen, mit blank liegenden Nerven und so, der kurz vor seiner Verhaftung den Mikrophonen der Weltpresse verkündete: „Ich habe nur meinen Job gemacht. Ihr braucht nur nach Bosnien zu gehen, dann wißt Ihr, daß ich nur meinen Job gemacht habe!“ Was also geschah in Bosnien?
Serbische Hausschlachtung
Live wurden die neuesten Produktinformationen des serbischen Metzgerhandwerkes via Satellit präsentiert. Meine Kartoffelchips und ich wurden unfreiwillige Zeugen, wie eine, am Grabe ihres ermordeten Mannes trauernde, kroatische Frau von Splittern einer plötzlich explodierenden Granate gespickt wurde. Sie ging entsetzlich schreiend zu Boden. Dort schrie sie weiter; schrie sie sich und ihre Seele aus dem Leibe. Alles vor laufenden TV-Kameras. Wie die Schmeißfliegen klebten sofort einige Fotografen, pardon, Paparazzi an ihrem Blut und droschen erbarmungslos mit ihren Aufhellblitzen auf die Wehrlose ein. Niemand half. Niemand fühlte ihren Puls bevor sie starb. Und das Schlimmste: Niemanden schien es zu interessieren. Keine Leitartikel. Keine Kommentare. Keine Rüge von Ruge. Aber wehe, es wird mal wieder ein dämlicher, ölverschmierter Seevogel in der Glotze präsentiert, dann geht der Punk ab. Halb zynisch, halb anerkennend muß ich deshalb feststellen: Wenn schon nicht vor dem Gesetz oder der öffentlichen Meinung, so sind doch zumindest vor den Paparazziobjektiven alle Menschen gleich – oder genauer: gleich tot.
Moralapostel
Die Medien legitimieren ihr Handeln und den Voyeurismus ihrer Leser gerne durch die Verbreitung eines Märchens. Es trägt den Titel: „Die Macht der Fotografie“. Es beinhaltet die These, die Fotografie habe den Vietnamkrieg beendet. Dieselben Märchenerzähler haben aber noch eine ganz andere Geschichte auf Lager, und sie trägt die Überschrift: „Die Machtlosigkeit der Fotografie“. Sie wird gerne von Redaktionen und Verlagen ins Feld geführt, wenn es darum geht, hochwertige Fotografie von den Magazinen und Zeitschriften fernzuhalten.
Gibt es dann jemanden, der über genügend Zivilcourage, Genialität und Mittel verfügt, aufzustehen, einen Film über die Gewaltsucht und Sensationsgeilheit der Presse zu realisieren, einen Film, der sich „Natural Born Killers“ nennt, dann wird dieser seitens der Presse fertiggemacht. Oliver Stone sah sich einer äußerst perfiden, global inszenierten Rufmordkampagne ausgesetzt. Die Massakerjunkies der Medien wollten ausgerechnet „zu viel Gewalt“ in Stones Werk entdeckt haben. Die Handlung ist kurz erzählt: Ein amerikanischer, karrieregeiler Fernsehjournalist verfolgt mit seinem Team ein Pärchen, das auf seinem Weg durch die Vereinigten Staaten mehr oder weniger wahllos Menschen erschießt, mehr oder weniger in seinem Agieren an Bonnie & Clyde erinnert. Am Schluß des Films gelingt dem Journalisten ein Exklusivinterview mit den Tätern, in dessen Verlauf er von einem seiner Gesprächspartner vor live-geschalteter Kamera erschossen wird. Das ist doch sauber reflektiert. Wo ist da das Problem? Vom Gewaltpotential her liegt „Natural Born Killers“ übrigens weit unterhalb eines durchschnittlichen Schwarzeneggerstreifens. Das nur nebenbei.
Die britische Infoelite hatte ihr Opfer bestellt, nun hatte sie es bekommen. Sodann heulten gerade die am lautesten, die vorher am vehementesten ihren Kopf gefordert hatten. Noch wenige Tage vor ihrem Tode war die frühere Princess of Wales die wohl meistgehaßte Person Großbritanniens. Der Grund: Eine Liason mit Dodi, dem Sohn Mohamed Al-Fayeds. Das war schon ein herber Schlag in das Imperialistengesicht: Nach dem Falklandkrieg und vor dem endgültigen Verlust der Kronkolonie Hong Kong war der Verkauf des „Harrods“ an den gebürtigen Nichtinsulaner Mohamed Al-Fayed des Briten größte Identitätskrise.
Das haben sie ihm nie verziehen. Doch nicht nur das: Vater Al-Fayed, der übrigens mit einer Schwester Adnan Kashoggis liiert war – und die die Mutter Dodis ist, nahm massiven Einfluß auf das konservativ regierende Unterhaus. Über 20 Tory MPs quittierten dem Kaufhausbesitzer den Erhalt großzügig bemessener Bestechungsgelder. Dafür sollten sie – und sie taten wie ihnen aufgetragen – im Parlament unbequeme Fragen stellen. Natürlich wollte Herr Al-Fayed auch gerne britischer Staatsbürger werden. Dieses Privileg enthielt man ihm jedoch vor und so sann der Zurückgewiesene auf Rache. Genüßlich, eine nach der anderen, präsentierte er der gierigen Presse die Quittungen mit den Unterschriften der Korrumpierten. Diese Affäre zog sich monatelang hin und erst durch die Wahl Tony Blairs zum neuen Prime Minister wurde das Thema hinfällig.
Das Imperium schlägt zurück
So, und nun ziehen wir und die Schuhe aus, legen uns ganz bequem auf die Couch, öffnen den obersten Hosenknopf, schließen die Äuglein, atmen ruhig und kräftig durch. Wir beginnen mit der ersten Formel: „Ich bin ein großer, großer leuchtender Union Jack. Ich bin ein großer, großer leuchtender Union Jack. Ich bin ein großer, großer leuchtender Union Jack.“ So zwanzig bis dreißig mal sollten wir uns das schon einreden. Wenn wir uns danach an das genaue Krönungsdatum Königin Elisabeths erinnern können, haben wir die nächste Bewusstseinsebene erreicht und dürfen uns langsam in der Vorstellung üben, was passiert wäre, wenn es Mohamed Al-Fayed gelungen wäre, über die möglicherweise geplante Hochzeit zwischen Sohn Dodi und Lady Di in das englische Königshaus einzuheiraten. Na? Eben. Es wäre der GAU, der gesellschaftliche Urknall gewesen. Nicht in einem Betontunnel, sondern hinter den Mauern Buckingham Palace’ und eines jeden englischen Einfamilienhauses wäre er explodiert.
Alles in allem die perfekte Story, die der leidgeprüfte Angelsachse unbedingt zu seinen verbrannten Frühstückswürstchen konsumieren möchte. Ganz bestimmt. Über offenem Feuer hätte man sie am liebsten gegrillt, die gute Diana, Prinzessin der Herzen. Als das Grillfest trotz fristgerecht eingehaltenen Schlachttermins wegen starken Tränenaufkommens ins Wasser zu fallen drohte, trieb man kurzer Hand eine andere Sau bzw. gleich mehrere Paparazzisäue durchs mediale Dorf. In der Psychologie nennt man so etwas eine Übersprungshandlung. Weniger emotional Geladene verweisen hingegen gerne auf eine Vorgehensweise, die die Diplomatie kennt: Man schlägt den Sack, meint aber dessen Besitzer!
So sollte es eben nicht nur den Paparazzi, sondern auch – nach dem Willen des öffentlichen Volkszornes – den Zeitungsverlagen an den Kragen gehen. Die Verlagshäuser wälzten ihrerseits die Wut- und Ohnmachtsanfälle ihrer Leserschaft geschickt auf das Königshaus ab: „Your People Are Suffering!“ Das war die Headline in der „The SUN“. Sie druckte dazu Tränenüberströmte vor den Gittern Buckingham Palace’ ab. Damit unterstellte das Blatt, der Tod Dianas und die Trauer ihres Volkes seien ihr egal. Dieser Ausgabe lag auch der Sonderdruck „Die 100 schönsten Dianalächeln“ bei. Kein Witz!
In der gestrigen Ausgabe der BILD-Zeitung: Leser malen das schönste Diana-Lächeln; was unweigerlich bedeutet, daß das Leben weitergeht.
Die heiße Zeit nach Löffelabgabe mauserte sich zum El Dorado für Marketing- und Krisenmanagementexperten: Wer schiebt wem, warum den schwarzen Peter in die Schuhe? Das war die Frage, ihre Beantwortung das Spiel. So wetteiferten die Zentralorgane des gesunden Volkszornes in ihrem Geheuchel und ihren unzähligen Farbsonderbeileidsbekundungen um die Gnade und das Geld des chronisch lethargiegefährdeten Briten. Die Luftbrücke von Heathrow arbeitete konzentriert und zuverlässig, denn Druckpapier und Blumen wurden zur Mangelware.
Trademark meets Jordan
Der gesundempfindende Volkszorn war ganz in seinem Element. Unter dem Deckmantel fanatischer Trauerei mutierte er unmerklich zum gesunden Volksempfinden, so empfindlich wie die Prinzessin auf der Erbse, und wer so empfindlich ist, hat ständig Schmerzen und die müssen – koste es, was es wolle – betäubt werden. Dianadevotionalien sind die Medizin, Giftshops die Apotheken, in denen sie rezeptfrei erhältlich sind: Dianateetassen, Dianateetassenuntersetzer, Dianateelöffel (den habe ich mir gekauft), Dianakaffeetassen, Dianakaffeetassenuntersetzer, Dianakaffeelöffel (den habe ich mir nicht gekauft), Dianauhren, Dianalesezeichen, Dianakugelschreiber, Dianagedenkreliefteller, das fast schon harmlose Diana-T-Shirt (in knapp dreißig verschiedenen Ausführungen), Dianapuppen (sogar aus Porzellan), usw. usf., … bis hin zum Dianabadewasserthermometer. Der Wahnsinn hat Methode: „The more you buy the more you save“ so lautet Englands Werbeverkaufsspruch Nummer eins; er müsste ab jetzt um den Zusatz „Diana“ erweitert werden. Druckreif konstatiert der faszinierte Marketingexperte: „Mit Diana ging ein perfekt funktionierendes Markenzeichen über den Jordan und erlebt jenseits seine Unsterblichkeit. Das Spielzeug Diana ist tot. Es lebe das Dianaspielzeug!“
Ein Kant – ein Wort!
Es lebe auch die leidenschaftliche Maßlosigkeit, mit der das gesund leidende Volksempfinden mit mehrerlei Maß mißt: Ein Betrunkener, der auf der Insel ein Kind im Straßenverkehr tötet, kam – zumindest zum Zeitpunkt der Artikelerstellung – mit der Zahlung von zwei- bis dreitausend Pfund und 5 Punkten davon. Die zugegebenermaßen nicht gänzlich geschmackssichere Tat, einigen Teddybären, die seit Tagen mit einem Herrchengesuchtblick vor Westminster Abbey der englischen Witterung trotzten, selbstlos und ohne zu Fragen ein neues Zuhause bieten zu wollen, wurde erstinstanzlich mit 28 Tagen Haft bedacht. Später wurde das Urteil revidiert. Je 200 Pfund Sterling waren zu entrichten.
Das alles wäre fast nicht der Rede Wert, wäre da nicht noch Norman „Hardcore“ Rosenthal, der Kurator der Royal Academy of Arts in London und Macher der Ausstellung „Sensation“. Sir Norman Rosenthal ließ es sich nicht nehmen, ein metergroßes Bild, welches das Portrait der (zwischenzeitlich) verstorbenen Kindesmassenmörderin Myra Hindley zeigt und aus tausenden Kinderhändeabdrücken zusammengesetzt ist, zu zeigen. Mit teuflisch sicherem Instinkt trampelte er damit auf den Gefühlen von Eltern herum, deren Kinder von der Massenmörderin umgebracht wurden, weil er durch diese Marketingmaßnahme eine Chance sah, seiner Ausstellung zu mehr Publicity zu verhelfen. Seine Rechnung ging dank gewissenloser Journalisten, die fleißig und fast ausschließlich über dieses Bild berichteten (und die man meines Erachtens inklusive Norman Rosenthal hätte unisono öffentlich auspeitschen lassen müssen), auf. Doch nicht nur das: Via Fernsehen lud er die protestierenden Eltern in die Akademie ein, um sich selbst „ein Bild“ von der Ausstellung zu machen. Die betroffenen Eltern beschlossen daraufhin, vor den Toren des Ausstellungsgebäudes zum Boykott der Rosenthalinszenierung aufzurufen. Zynisch ließ dieser wiederum den geschockten Eltern per Butler Sandwiches und Tee nach draußen bringen. Norman Rosenthal hält sich selbst für einen Mann der Integration – womit es langsam an der Zeit wäre, sich über die integrative Kraft von Sprengstoffgürtelattentätern Gedanken zu machen.
Womit wir einmal mehr bei Immanuel Kants kategorischem Imperativ angelangt wären: „Was Du nicht willst, was man Dir tu – das füg’ auch keinem andern zu!“ Nur komisch, daß dieser Satz ausschließlich dann Anwendung findet, wenn Erlkönig der Prominenz ein Leids getan… Solange jemand ungehindert seine Profilneurose zu Lasten Dritter in der Öffentlichkeit zur freien Entfaltung bringen darf; solange es der gesellschaftliche Konsens verlangt, einem x-beliebigen Obdachlosen bloß nichts zu spenden („Kaufen sich ja eh nur Alkohol davon“), solange wir in Sachen Mitmenschlichkeit noch unsere Defizite ausgleichen müssen, solange sollten wir die Kirche im Dorf lassen und den durch Trunkenheit am Steuer verursachten Unfalltod einer ehemaligen Prinzessin nicht überbewerten. Obwohl es natürlich bedauerlich ist.
Meinem Wort zum Sonntag möchte ich noch zwei Überlegungen in eigener Sache anschließen:
- Werbung ist ein hochgradig seriöses Geschäft und ich möchte mich zu keinem Zeitpunkt und mit niemandem darüber streiten müssen.
- Dianatassen zerbrechen, wenn man sie beim Abspülen fallen läßt.
Hamlet Hamster; 24th of December 1997
It’s 5 a.m. and I’ve got a wonderful view on 8th Avenue.
____________________________________________________
Besondere Leseeinladungen gehen an:
Satirischer Bloganzeiger / 321 Blogger / bangers welt / Radio Brennt / nichts los im tompteblog / Startseite Fotografie-Blog / jetzt.sueddeutsche.de /
Tags: Boulevardjournalismus, Buckingham Palace, Car Crash, Dodi Al Fayed, Lady Di, Paparazzi, Paris, Prince Charles, Princess Diana, The Sun
You must be logged in to post a comment.