Aufklärungsscheck des Deutschen Künstlerbunds: Ich erkläre hiermit das Sein und die Umgebung in den Bonner Ministerwohnungen als Happening. (FLUXUS-Künstler Wolf Vostell; Bank für Gemeinwirtschaft, 17. 9. 1970, Bonn)
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Wolf Vostell während der Dreharbeiten zu Berlin Alexanderplatz (1979/80)
© Rainer Werner Fassbinder Foundation
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Wolf Vostell (Leverkusen 1932–1998 Berlin) realisierte zwischen 1954 und 1988 über 50 Happenings, die die Zuschauer zu Beteiligten machten: Mal betonierte er Kunstinteressierte auf der Straße kurzer Hand eine Hand oder einen Unterarm oder einen Unterschenkel ein, fotografierte sie und machte sie so zum Mitwirkenden in seinen Olympiade-Grafiken,
mal betonierte er Cadillacs ein und stellte sie am Berliner Ku’damm zur Schau,
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(C) by semlerh
mal unterstellte er dem Bomber B52 seinen Job nicht richtig zu machen, indem er dafür sorgte, daß es so aussähe als würfen sie über Vietnam Lippenstifte ab:
Das Thema Vietnam beschäftigte zu dieser Zeit nicht nur auch andere Künstler, sondern ihn mehrfach und in mehrfacher Hinsicht, was zur Folge hatte, daß mehrere Arbeiten zu diesem Thema entstanden, wie zum Beispiel der Zyklus Vietnamsinfonie:
Happenings waren für Wolf Vostell Instrumente der Bewusstmachung von Zeitphänomenen. Vostell setzte dem objet trouvée der Dadaisten sein Konzept des vie trouvée entgegen. Nicht nur den Kunstbegriff mit seinen starren und tradierten Formen, sondern vor allem auch das Leben müsse man erweitern: „Duchamp hat das Objekt zur Kunst erklärt, ich habe das Leben selbst zur Kunst erklärt.“ So realisierte Vostell mit Das Theater ist auf der Straße 1958 in den Straßen von Paris das erste europäische Happening, 1961 in Köln mit Cityrama (1) das erste Happening auf deutschem Boden. (Zitat aus dem Pressetext zur aktuellen Ausstellung Das Theater ist auf der Straße – Die Happenings von Wolf Vostell im Museum Morsbroich, veröffentlicht auf kunstaspekte.de).
Meine persönlichen Erinnerungen an Wolf Vostell sind nur noch von diffuser Natur. Er war häufiger zu Gast im Hause meiner Eltern und signierte, an einem großen Küchentisch sitzend, seine Grafiken. Zum Beispiel seine beiden Zyklen Olympiade und Vietnamsinfonie. Ich war da so fünf oder sechs Jahre alt und ihm zu Füßen saß stundenlang ein Schäferhund, dem der Sabber auf den Boden floß, ganz so, als habe er in seinem Leben noch nie frisch gefertigte Siebdrucke gefressen.
Und dann begegnete ich ihm viele, viele, viele Jahre später, als ich für den STERN in Paris die Ausstellung Les Magiciens de la terre fotografierte. Im Centre Pompidou lief ich ihm über den Weg.
“Na, Herr Vostell, hat Ihr Hund eigenlich damals die Grafiken gefressen?” “Wie bitte?” Ok, ich vergaß, mich ihm vorzustellen. War ja auch schließlich ein Weilchen her, daß wir das letzte Mal miteinander zu tun hatten. Danach verstand er und so versorgte er mich mit einem spontanen Vorzugsvortrag über sein Leben, sein Werk und danach beides zur Sicherheit nochmal zusammen, der schätzungsweise eine halbe Stunde oder so andauerte. Dann verabschiedeten wir uns. Ich frage mich seither, wer unter rhetorischen Gesichtspunkten besser seinen silberbeknauften Spazierstock handhabt: Vostell oder Lüpertz?
Wolf Vostell, Der Flugplatz als Konzertsaal, 1964; Aktion des Happenings In Ulm, um Ulm und um Ulm herum; Fotografie, s/w; Junta de Extremadura. Consorcio Museo Vostell Malpartida
So, meine lieben Meerschweinchenreportleserinnen und Meerschweinchenreportleser, ich denke, es ist klar, worauf ich hinaus will: Die Ausstellung, die am Wochenende im Museum Morsbroich eröffnet wird, ist bestimmt eine prima Sache.
Abschließend zitiere ich einmal mehr aus dem Pressetext zur Ausstellung, der auf kunstaspekte.de veröffentlicht wurde:
“Es erscheint ein Katalog im Kerber Verlag in deutscher und spanischer Sprache mit vier einleitenden Essays, einem Interview mit Mercedes Vostell und einem Anhang mit Bild- und Textdokumenten zu sämtlichen Happenings (ca. 336 S. mit ca. 700 Abbildungen; ISBN 978-3-86678-431-4). Die Auswertung des Happening-Archivs und seine Publikation sollen eine neue, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Happening fördern.
Das Theater ist auf der Straße wird von Dr. Fritz Emslander (Museum Morsbroich) und José Antonio Agúndez García (Consorcio Museo Vostell Malpartida) kuratiert.
Ausstellung und Publikation werden gefördert durch die Kunststiftung NRW und das Goethe-Institut.”
Dauer der Ausstellung: 6. Juni 2010 bis 15. August 2010
Museum Morsbroich
Städtisches Museum Leverkusen Schloss Morsbroich
Gustav-Heinemann-Strasse 80
51377 Leverkusen
Deutschland
fon 02 14 – 8 55 56-0
museum-morsbroich@kulturstadtlev.de
Tags: Cadillacs, Deutscher Künstlerbund, FLUXUS, Happening, Ku'damm, Museum Morsbroich, Olympiade, Vietnamsinphonie, Wolf Vostell
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